By Louisa Breiden
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Jedes zehnte Kind in der Grundschule ist, laut Elternaussagen, bereits Opfer von Cybermobbing geworden (vgl. Beitzinger et al. 2020: 15). Zusätzlich lässt sich sagen, dass Cybermobbing ein wachsendes Problem ist, wobei Eltern überfordert, Lehrkräfte zu wenig darauf vorbereitet und die Schulen zu zögerlich in der Reaktion sind (vgl. ebd.: 8).
Diese besorgniserregenden Befunde liefert die Folgestudie von Beitzinger et al. (2020) der vom Bündnis gegen Cybermobbing erstmals 2013 angelegten Studie, welche die Thematik des Cybermobbings bei Schülerinnen und Schülern aus Eltern-, Lehrer- und Schülerperspektive beleuchtet.
Wir befinden uns in einer Zeit, in welcher die Digitalisierung weiter voranschreitet und Kinder und Jugendliche immer früher mit digitalen Technologien konfrontiert werden. Dabei können sie von diesen profitieren und mit und über sie lernen, denn zweifelsohne bringen sie eine Vielzahl an Vorteilen mit sich. Gleichzeitig ist es allerdings von großer Bedeutung, auch über die Gefahren, hier in Form von Cybermobbing, aufzuklären.
Doch was ist Cybermobbing genau und welche besonderen Eigenschaften weist es auf?
Mobbing im allgemeinen Sinn wird von Beitzinger et al. (2020) als ein systematisches Ausgrenzen von Schülerinnen oder Schülern über einen längeren Zeitraum beschrieben (4). Daran anschließend wird Mobbing als ein aggressives Verhalten, welches gezielt gegen eine Person gerichtet ist, charakterisiert. Mobbing ist ein Gruppengeschehen und die Wiederholungen können von Wochen bis hin zu Jahren andauern (vgl. Alsaker 2017 in: Harder 2022: 50). Cybermobbing kann als eine digitale Ausprägung von Mobbing verstanden werden, welche allerdings um zwei weitere zentrale Aspekte erweitert werden muss: Öffentlichkeit und Anonymität (Nocentini et al. 2010 in: ebd.).
Hinsichtlich der Öffentlichkeit können diffamierende Informationen nun einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden, beispielsweise über Foren, soziale Netzwerke oder auch E-Mails. Die Anonymität sorgt dafür, dass die Hemmschwelle sinkt, indem Täterinnen und Täter gefälschte Profile anlegen können und Informationen nicht unter ihrem realen Namen veröffentlichen müssen (vgl. Weitzmann 2017). Nicht identifizieren zu können, von wem das aggressive Verhalten ausgeht, führt bei den Opfern wiederum dazu, dass das Gefühl von Frustration und Machtlosigkeit weiter verstärkt wird (vgl. Harder 2022: 50).
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt liegt in der Zeitlichkeit: Cybermobbing kann jederzeit geschehen und dazu führen, dass die Opfer permanenten Attacken ausgesetzt sind, auch außerhalb des Schulalltags (vgl. Weitzmann 2017). Wobei das Zuhause zuvor womöglich als Schutzraum vor schulinternen Problemen angesehen wurde, wird es durch digitale Medien möglich, dass sich das (Cyber-)Mobbing auf alle Lebensbereiche der Opfer ausweitet. Nicht selten werden Opfer von Mobbing in der Schule auch zu Opfern von Cybermobbing. Dabei tritt es in vielerlei Erscheinungsformen auf, dazu gehören unter anderem Belästigungen, Bloßstellungen, Diffamierungen und Rufschädigungen, Demütigungen und Bedrohungen (vgl. ebd.). Nach der Folgestudie von Beitzinger et al. (2020) erfolgen die meisten Cybermobbing- Angriffe über Instant Messaging wie WhatsApp (88%) und soziale Netzwerke wie Facebook (78%), wobei die Vorfälle seit der vorangegangenen Studie 2017 um jeweils zehn Prozentpunkte bei Instant Messaging und 25 Prozentpunkte bei sozialen Netzwerken gestiegen sind (106).
Katzer (2014) beschreibt ein zusätzliches Kriterium Cybermobbings als „Endlosviktimisierung“ (61). Dieser Begriff beschreibt die Endlosigkeit von Cybermobbing, da nichts, was jemals online veröffentlicht wurde, gänzlich – von allen Servern oder Verteilern – gelöscht werden kann (vgl. ebd.). Diffamierende Informationen oder Fotos können demnach auch noch Jahre später im Internet zu finden sein.
Psychische Folgen für die Opfer
Wie die Merkmale des Cybermobbings vermuten lassen, können die psychischen Folgen für die Opfer von Cybermobbing weitreichend sein. Diese äußern sich unter anderem in Wut, Frustration und psychosomatischen Beschwerden. Auch Leistungsabfälle in der Schule können mögliche Folge sein. Weiterhin kann Cybermobbing auch Freundschaften verändern: zum einen sind Cybermobbingopfer zögerlicher und vorsichtiger beim Schließen neuer Freundschaften, zum anderen steigt das Misstrauen in bereits bestehende Freundschaften, da in Hinblick auf die oben erwähnte Anonymität eben nicht klar sein kann, ob Freundinnen oder Freunde im Netz unerkannte Mittäter sind (vgl. Katzer 2014: 106). Selbstverletzendes Verhalten und Suizidversuche sind ebenfalls mögliche psychische Folgen (vgl. ebd.). All dies zeigt nunmehr, dass Cybermobbing eine traumatisierende Erfahrung ist und damit eine ernstzunehmende Problematik darstellt, welche es durch präventive Maßnahmen einzudämmen gilt.
Präventionsmaßnahmen in der Schule
Die Schule ist ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche viel Zeit miteinander verbringen und wird von Katzer (2014) als ein wichtiger Tatort beschrieben, an welchem Mobbing und Cybermobbing stattfinden (178). Gleichzeitig können in der Schule allerdings, die neben einem Tatort eben auch Lernort und soziale Gemeinschaft ist, Präventions- und Interventionsmaßnahmen am besten ansetzen, denn hier sind Täterinnern und Täter, Opfer und Bystander gemeinsam versammelt (vgl. ebd.).
Nachhaltige Präventionsarbeit sollte längerfristig gedacht und angewendet werden, beginnend in der Grundschule. Grundsätzlich förderlich und notwendig ist in dieser Zeit, in der digitale Medien immer präsenter werden, eine kompetente, altersgerechte Medienerziehung. Hier sollte es neben den Risiken, welche das Internet birgt, aber auch um die positiven Möglichkeiten und Eigenschaften gehen (vgl. ebd.: 181). Auch gehört zu der Medienerziehung, dass alle schulischen Akteure – also neben Schülerinnen und Schülern auch Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter und Eltern in regelmäßigen Abständen auf den neuesten Stand über Fotoportale wie Instagram, Twitter-Dienste oder Datenspeicherung wie Clouding informiert werden (vgl. ebd.). Newsletter oder die schuleigene Website könnten hier Möglichkeiten für Informationsverbreitung darstellen.
Eine umfängliche Gewaltprävention auf die neuen situativen Bedingungen auszurichten ist ebenfalls vonnöten, da Gewalt heutzutage immer häufiger in Verbindung mit den neuen Medien (Facebook, Smartphone, YouTube, …) stattfindet (vgl. ebd.). Generell sollten Lehrkräfte sich darüber informieren, was genau an ihrer Schule passiert. Das hilft, um einen Überblick darüber zu bekommen, welche Formen von Gewalt an ihrer Schule auftreten und welche Medien häufig genutzt und betroffen sind (vgl. ebd.: 189). Katzer (2023) beschreibt treffend, dass Kinder und Jugendliche in der technischen Handhabung von Hard- und Software zwar teilweise bereits sehr versiert und kompetent sind, es ihnen allerdings an Lebenserfahrung fehlt, um belastende Erlebnisse zu verarbeiten (11). Auch fällt es ihnen schwer zu verstehen, was sie anderen mit ihrem (digitalen) Handeln antun können (vgl. ebd.).
Zunächst ist es dann wichtig, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen zu erarbeiten, wie neue Formen von Gewalt aussehen können. Essentielle erste Fragen, welche es zu klären bedarf wären beispielsweise: Was ist Cybermobbing überhaupt? Was kann Cybermobbing bei den Opfern anrichten? (vgl. ebd.). Auch sollte über mögliche Sanktionen bei Missbrauch aufgeklärt werden. Schutzfaktoren, wie die Steigerung von Selbstwert und Selbstbewusstsein bei potenziellen Opfern, Empathieförderung bei Täterinnen oder Tätern und die Einbindung der
Bystander zur Opferstärkung, wie sie bisher in der traditionellen Mobbingprävention vermittelt wurden, können auch auf das Medium Internet übertragen werden (vgl. ebd.). Hier könnte man mit den Kindern und Jugendlichen darüber sprechen, was man wem online mitteilen kann und welche Informationen man für sich behalten sollte. Auch sollten ihnen Handlungsstrategien, sogenannte Copingstrategien, nahgelegt werden: Wie geht man im Fall von erlebtem oder beobachtetem Cybermobbing vor? Was könnte den Schülerinnen und Schülern helfen, die traumatischen Erlebnisse besser psychisch verarbeiten zu können? (vgl. ebd.). Hinsichtlich der Täterseite ist es wichtig, in Fällen von Cybermobbing sofort zu reagieren, da es durch die schnelle Informationsverbreitung über das Internet zu einem Schneeballeffekt kommen könnte, der auf große Teile der Schule übergreift. Um Empathie zu fördern eignen sich vor allem in den unteren Klassenstufen, wie der Grundschule, Rollenspiele (vgl. ebd.: 183). Die Schülerinnen und Schüler lernen hier, sich in andere hineinzuversetzen und Verständnis für diese und ihre Gefühle zu entwickeln. Dies kann einerseits dazu führen, dass potenzielle Täterinnen und Täter ihre Handlungen überdenken und andererseits dazu, dass die Schülerinnen und Schüler die Dringlichkeit erkennen, sich für andere einzusetzen. Durch den Einsatz von Rollenspielen wird außerdem nicht nur das Einfühlungsvermögen geschult, sondern macht vielen Schülerinnen und Schülern Spaß und sorgt damit dafür, dass Gewaltprävention interessant gestaltet wird.
Selbstredend ist es wichtig, dass Lehrkräfte eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufbauen, damit diese wissen, dass sie sich bei Problemen wie erlebtem (Cyber-)Mobbing ohne Schamgefühl an sie wenden können. Mit zunehmendem Alter könnte dieses allerdings verstärkt werden und es den Kindern und Jugendlichen unangenehm sein, sich Erwachsenen anzuvertrauen. Dafür gibt es verschiedene Websites, die Betroffenen helfen, während sie anonym bleiben können. Eine kleine Auswahl finden Sie am Ende des Artikels.
Ein durchaus interessanter Ansatz zur Gewaltprävention aus der Praxis an Schulen soll im Folgenden abschließend vorgestellt werden. Hierbei handelt es sich um den Bundeswettbewerb „Fit in Fair Play“ des Malteser Hilfsdienst e.V. Das Projekt zur Gewaltprävention startete erstmals 2008 und bisher engagierten sich mehr als 80.000 Schülerinnen und Schüler in 11 Bundesländern (vgl. Deutscher Bildungsserver 2019). Das Projekt ist außerdem in jedem Bildungsbereich anzuwenden, von Primarbereich bis zur beruflichen Bildung (vgl. ebd.). Es geht darum, dass nicht ein bestimmtes Konzept bei allen teilnehmenden Schulen eingesetzt werden soll, sondern schulintern Präventionsmaßnahmen eigenständig neu entwickelt oder bereits bekannte Konzepte an die individuelle Schulsituation angepasst werden (vgl. Katzer 2014: 199). Bei dem Projekt werden Teamgeist, Sozialkompetenz und Zivilcourage durch eine
selbstständige, kreative und konstruktive Auseinandersetzung mit Mobbing und Cybermobbing ausgebaut und verstärkt (vgl. ebd.: 200). Im Vordergrund steht, dass sich Kinder und Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte gemeinsam und kreativ mit der Thematik Mobbing auseinandersetzen. Auch werden die Schulen „durch begleitende Aktionen, Workshops und Trainings mit zahlreichen prominenten Paten sowie durch die Malteser Deutschland vor Ort unterstützt“ (ebd.).
In diesem Artikel haben Sie erfahren, was Cybermobbing auszeichnet und so gefährlich macht. Die Folgen für Betroffene sind schwerwiegend und langanhaltend. Es ist unabdingbar, schon früh mit Präventionsmaßnahmen zu beginnen, um einen sicheren Raum für und mit den Schülerinnen und Schülern zu entwickeln.
Empfehlungen weiterführende Links
- www.juuuport.de – bundesweite Online-Beratungsplattform für junge Menschen, die Probleme mit Cybermobbing haben
- www.bündnis-gegen-cybermobbing.de – hilft Kinder, Jugendliche und Erwachsene bei der Internetnutzung zu sensibilisieren
- https://www.klicksafe.de/interaktive-medien – hier u.a. zu finden: Cyber-Mobbing Leichte Hilfe App
Literarturverzeichnis
Beitzinger, F., Leest, U. & Schneider, C. (2020): Cyberlife III. Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr. Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern.
Deutscher Bildungsserver (2019): Fit in Fair Play. In: Bildungsserver Innovationsportal. URL: https://www.bildungsserver.de/innovationsportal/innovationsprojekt.html?innovationsprojekte _id=861 (Abrufdatum: 27.04.2024).
Harder, M. (2022): Online-Risiken und -Chancen. Kinder und Jugendliche unterwegs im Internet, in: Haider, M. & Schmeinck, D. (Hrsg.), Digitalisierung in der Grundschule. Grundlagen, Gelingensbedingungen und didaktische Konzeptionen am Beispiel des Fachs Sachunterricht, Kempten: Klinkhardt.
Katzer, C. (2023) Cybermobbing. Digitale Gewalt pädagogisch überwinden. 1. Auflage. [Online]. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.
Katzer, C. (2014) Cybermobbing. Wenn das Internet zur W@ffe wird. [Online]. Berlin: Springer.
Weitzmann, John H. (2017): Cyber-Mobbing und was man dagegen tun kann. Erscheinungsformen, Gründe und Auslöser. In: iRightsinfo. URL: https://irights.info/artikel/cyber-mobbing-cyberbullying-und-was-man-dagegen-tun-kann- 2/6919 (Abrufdatum: 27.04.2024).
Toller Artikel – sehr informativ und viele hilfreiche Tipps für den Umgang und die unterrichtspraktische Umsetzung in der Grundschule. Danke 🙂